Musik, zu der man einfach tanzen muß...
mit einer Extra 200 – vor 10000 Zuschauern
Impressionen und Gedanken bei einer Kunstflugvorführung von Angelika Heiß

 
 

Flugplatzfest bei strahlend blauem Himmel, an der Flightline entlang stehen die Zuschauer dicht gedrängt. Die Menge ist schwer zu schätzen, jedenfalls fühle ich mich zu sehr beobachtet. Ich finde hinter dem Tankfahrzeug am Ende der Piste ein ruhiges Plätzchen, um mein Kunstflugprogramm vor dem Flug nochmals am Boden abzulaufen, den MP3-Player in die Ohren gestöpselt. Noch eine halbe Stunde, dann soll ich in die Luft – meinte der Programm-Koordinator auf dem Vorfeld. 

Obwohl ich diese Trockenübungen bestimmt schon tausend Mal gemacht habe und obwohl ich das Programm schon mindestens hundert Mal geflogen bin, stehe ich plötzlich da und weiß nicht, welche Figur als nächstes kommt. Also Musik nochmals von vorne, besser konzentrieren und nicht von den vorbeirollenden Flugzeugen und den nett winkenden Piloten darin ablenken lassen.

 

Ein Blick auf die Uhr, es wird Zeit. Ich brauche auch noch zehn Minuten, um mich in der Maschine festzuschnallen. Der Rumpftank ist voll, Sprit reicht für dreißig Minuten. Das ist ok, ich bin ja direkt über dem Platz. Mit meinem Partner Max und dem Sprecher, der auch auf den Startknopf des CD-Players drücken wird, stimme ich noch ab, daß ich sofort nach dem Start auf eine andere Frequenz umschalten werde, auf der mir dann die Musik auf den Kopfhörer gesendet wird. Solange ich auf Höhe steige, wollen wir einen Soundcheck machen.



Ein letzter Blick auf den Windsack. Seitenwind aus Nord, bestens! Bei Gegenwind muß ich oft improvisieren und während der Vorführung einen Richtungswechsel machen, wenn ich zu sehr versetzt werde. Ich kann zwischen den einzelnen Kunstflugfiguren nicht gegen den Wind vorziehen, um im Vorführraum zu bleiben, weil das Programm taktgenau auf die Musik abgestimmt ist. Die einzige Möglichkeit einen Windversatz auszugleichen habe ich, wenn ich zwei Figuren-Sequenzen, die normalerweise gegenläufig sind, in dieselbe Richtung fliege, indem ich bei der Wendefigur eine halbe Drehung in der Senkrechten einbaue. Und ich hab noch beschränkt die Chance, ein paar Meter zu gewinnen oder einzusparen, indem ich mit der Geschwindigkeit variiere.



Es ist an der Zeit, ich lass den Motor an. Alle Instrumente sind nach wenigen Sekunden im grünen Bereich. Auf der Platzfrequenz ist der Teufel los, aber der Flugleiter begrüßt mich überaus nett und mit einem locker-neckischen Spruch. Ich rolle Richtung Schwelle, winke noch den Leuten zurück, die mir freundlich zuwinken, manövriere die Extra um die riesige Antonov herum, die mir den Weg versperrt, dann bin ich am Ende der Piste, allein, kann mich in Ruhe konzentrieren. Ich warte noch ab, bis die drei Rundflugmaschinen im Endanflug gelandet sind. Öltemperatur ist mittlerweile o.k., Abgas- und Zylinderkopftemperatur ebenso, Höhenmesser steht auf Null, Gemisch- und Drehzahlregler vorn, die zweite Frequenz am Funkgerät auf standby, alle Ruder freigängig und den Beckengurt ziehe ich mit der Rätsche noch etwas enger. Die Schulter- und Fallschirmgurte noch zurechtgerückt - im Winter muß ich mich unbedingt nach einem kleineren Fallschirm umschauen; die Gurte rutschen mir ständig von den Schultern! – dann melde ich mich abflugbereit.



Die Bahn und der Himmel seien frei für mich, meint der Flugleiter. Ich richte die Extra auf der Piste aus, schalte die Benzinpumpe ein, schließe das Kabinenfensterchen und schiebe den Gashebel vor. Die Graspiste ist ziemlich holprig, aber ich bin schnell in der Luft. Im Slip ein wenig die Flügel zeigen, solange ich über der Bahn und vor den Zuschauern bin, dann schön hochziehen und vor der naheliegenden Ortschaft abdrehen. Ich melde mich von der Platzfrequenz ab und schalte um zu Max und zu meiner Musik. Der Soundcheck ist o.k., ich kann die Musik, die unten gerade läuft, gut hören. Noch tausend Fuß steigen, das schaffe ich ohne zusätzlichen Kreis, also gebe ich das verabredete Kommando „music ready“. Max bestätigt „music ready“. Ich fliege noch ein paar Meter vor, so daß ich meinen Anflug in Richtung Piste außerhalb des Zuschauerbereichs platzieren kann. Ein letzter Blick auf die Instrumente – alles im grünen Bereich, Tankwahlschalter steht auf Rumpftank, und nochmals ein letzter Blick um mich rum, kein anderes Flugzeug zu sehen; es kann losgehen: „music go!“



Mist! Es vergehen fünf Sekunden, bis meine Musik läuft. Viel zu lange – jede Sekunde lege ich 100 Meter zurück! Als ich die Maschine nach unten drücke für die ersten zwei Rollen sehe ich, daß ich schon sehr dicht an der Bahn bin, also viel steiler anfliegen als üblich, sonst überschieße ich die Piste. Der Fahrtmesser dreht hoch Richtung roter Strich – klar bei einem solchen Sturzflug! Trotzdem noch zwei Takte abwarten, dann beim Paukenschlag mit über 7 g hochziehen in die Senkrechte. Blick über den linken Flügel aufs Visier, Linie steht gut. Beim nächsten Paukenschlag eine viertel Rolle nach links und wenn der Gesang einsetzt, ziehe ich die Nase ganz sachte nach unten in einen dreiviertel Loop. Erst jetzt kann ich genau sehen, wo ich bin – direkt über der Bahn! Die Zuschauer müssen fast senkrecht nach oben schauen, wenn sie mich sehen wollen. Nicht gut! Also die nächste Sequenz schräg von der Bahn wegfliegen. Der Takt der Musik jagt mich - bei jedem Paukenschlag eine Steuerbewegung: Viertelrolle links, noch eine Viertelrolle links, halbe Rolle rechts.. aber all das geht fast automatisch. Ich denke nicht darüber nach, was ich da fliege, ich muß nicht auf meinem Programm vor mir auf dem Instrumentenbrett nachschauen, was als nächstes kommt - das ist mir in der Zwischenzeit in Fleisch und Blut übergegangen. Ich habe sogar Zeit, auf den Höhenmesser zu schauen – verdammt! Viel zu hoch! Durch die überhöhte Anfluggeschwindigkeit hatte ich so viel Energie in der nächsten Figur, daß ich viel weiter den Himmel hochgefahren bin als sonst immer. Und prompt überlagert Max’ Stimme die Musik im Funk, er meckert ich sei zu hoch. Männer! Als ob ich das nicht selbst wüßte! Also in der nächsten Figur senkrecht nach unten statt der Viertelrolle links eine Dreiviertelrolle nach rechts. Das dauert zwar eine Sekunde länger, paßt aber trotzdem zur Musik und verbraucht mehr Höhe. Jetzt setzt wieder ruhiger Gesang ein. Einige Sekunden lang kein jagender Takt. Ich ziehe hoch zum Turn, lasse die Maschine in der Senkrechten stehen – sekundenlang denke ich, jetzt falle ich gleich rückwärts aus dem Himmel. Bis wieder das Orchester mit dem erlösenden Paukenschlag einsetzt; und mit dem Paukenschlag ein kräftiger Tritt ins linke Seitenruder. Die Maschine dreht perfekt auf der Flügelspitze und ich fliege wieder Richtung Erde, zwei Sekunden länger als sonst, um tiefer zu kommen. Dadurch muß ich aber härter abfangen, um in der Horizontalen auf den Takt genau bereit für die nächste Figur zu sein. Wieder 7,5 g gezogen!

Ich fühle, wie es mich anstrengt. Außerdem ist es heiß. Nach fast jeder Figur muß ich die Schweißtropfen von meiner Stirn wischen. Sie würden mir sonst in die Augen fließen und dann kann ich nichts mehr sehen. Wäre doch besser, ein Stirnband zu tragen. Die Hälfte des Programms habe ich geschafft. Fünf gesteuerte Rollen schräg weg vom Platz – die Drehgeschwindigkeit passend zur Musik und jeweils mit dem Paukenschlag gestoppt, dann neuer Anflug für das zweite Musikstück. Noch vier Minuten. Die Kraft im rechten Arm läßt langsam nach. Aber in der zweiten Hälfte des Programms kommen sehr viele Sequenzen mit geviertelten Rollen abwechselnd rechts und links. Also nochmals alle Kräfte sammeln und in ordentlich knackige Ruderausschläge umwandeln! Leichter gedacht als getan – bei der letzten Rollensequenz muß ich schon die linke Hand zu Hilfe nehmen und beidhändig fliegen, sonst könnte ich die Nase der Extra im Rückenflug nicht mehr über dem Horizont halten. Acht Minuten sind einfach zu viel! Ich muß dringend die Musik auf sechs Minuten kürzen und das Kunstflug-Programm entsprechend anpassen! Im Winter, wenn ich wieder Zeit habe...

Ich höre, wie die Musik ausklingt und der Sprecher mit seiner Moderation fortfährt. Der durfte während der Vorführung natürlich nichts sagen, denn das würde mich zu sehr ablenken und außerdem sollen ja  Musik und Kunstflug ungestört auf die Zuschauer wirken. Max geht von der Sendetaste und ich schalte um auf die Platzfrequenz. Der Flugleiter sorgt dafür, daß ich einen freien Anflug habe. Jetzt noch eine ordentliche Landung hinzaubern, trotz des Seitenwindes, für den ich während meiner Vorführung so dankbar war. Mußte ich dadurch doch nicht improvisieren und die Flugrichtung wechseln. Und es gelingt mir auch, obwohl ich ausgepowert und schweißgebadet bin. Ich rolle die Extra vor die Zuschauer, schalte den Avionik-Hauptschalter aus und ziehe den Gemischhebel. Es wird still im Flugzeug und ich nehme den Kopfhörer ab – fix und alle, aber ein wenig stolz, daß es den Leuten offensichtlich so gut gefallen hat – wenn ich den Beifall richtig interpretiere...